11.12.2023
Der Traum der roten Kammer – Ein buddhistischer Schlüssel zum Verständnis des großen chinesischen Romans

Referent: Prof. Dr. Karl-Heinz Pohl

Zeit:  Montag, 11.12.2023, 18 Uhr c.t.
Ort:   Hauptgebäude, HS II (1. OG)

 

Der Traum der roten Kammer –
Ein buddhistischer Schlüssel zum Verständnis des großen chinesischen Romans

 

Der Roman „Der Traum der roten Kammer“ (Hongloumeng), von Cao Xueqin im 18. Jh. geschrieben, gilt als der bedeutendste Roman im alten China. Seine Beliebtheit verdankt er dem Umstand, dass er, wie kein anderer, die ästhetische Sensibilitäten der klassischen chinesischen Bildungselite abbildet – ihre Liebe zu Dichtung, daoistisch-buddhistischer Philosophie, Kunst (Kalligraphie und Malerei) und Gärten.

Der Roman erlaubt viele verschiedene Lesarten: 1. Als Sittengemälde; 2. Chronik des Aufstiegs und Verfalls einer wohlhabenden Familie (wie Thomas Manns Buddenbrooks) mit einem politisch-historischen Bezugsrahmen (und versteckter politischer Kritik); 3. verschlüsselte Autobiographie des Autors; 4. Liebesgeschichte; 5. Bildungsroman/Erziehungsroman. Schließlich gibt es auch eine philosophische Lesart – mit daoistisch/buddhistischer Interpretation, die sicher die faszinierendste ist: Einsicht in die Eitelkeit des Lebens – indem die Fülle des Lebens erfahren wird (insbes. aller Begierden, Leidenschaften und Lust). Dies betrifft auch die Fragen: Was ist wahr, was ist falsch? Was ist Fiktion und was ist Wirklichkeit  – “Dichtung und/oder Wahrheit”?

Im Vortrag werden der buddhistische Hintergrund sowie die Signalstellen für die buddhistische Lesart vorgestellt. Es wird deutlich, dass Begriffe und Ideen aus dem buddhistischen Herz-Sutra, vor allem der Gedanke der „Nicht Dualität“ (bu er), die Handlung einrahmen und insofern entscheidend für die Interpretation sind. D. h., wie es am Ende heißt: „Das Land der Täuschungen und das Paradies der Wahrheit (Soheit) sind ein und dasselbe”. Es gibt also keinen Unterschied zwischen buddhistischem Erwachen und Leidenschaft, zwischen Samsara und Nirvana, zwischen “wahr” (Realität) und “falsch” (Fiktion) bzw. zwischen Dichtung und Wahrheit: Dichtung ist Wahrheit …

 

Karl-Heinz Pohl (卜松山), geboren 1945 in Saarlouis. Studium der Sinologie, Japanologie und Kunstgeschichte an den Universitäten Hamburg, Bonn und Toronto (Kanada). 1982 Ph.D. in East Asian Studies an der Universität Toronto. 1987 – 1992 Professor für chinesische Literatur und Geistesgeschichte an der Universität Tübingen. 1992 – 2010 Professor für Sinologie an der Universität Trier. Seit 2010 im Ruhestand.

Arbeitsgebiete: chinesische Geistesgeschichte, Ethik und Ästhetik des modernen und vormodernen China, interkulturelle Kommunikation und Dialog zwischen China und dem Westen.

Veröffentlichungen (Auswahl): China für Anfänger. Eine faszinierende Welt entdecken, Bochum: Europäischer Universitätsverlag, 2020 (aktualisierte Neuauflage). Ästhetik und Literaturtheorie in China – Von der Tradition bis zur Moderne, München: Saur Verlag, 2006. Hg. (mit Gudrun Wacker und Liu Huiru): Chinesische Intellektuelle im 20. Jh.: Zwischen Tradition und Moderne, Hamburg: Institut für Asienkunde, 1993. Hg.: Chinese Thought in a Global Context: A Dialogue Between Chinese and Western Philosophical Approaches, Leiden: Brill, 1999. Hg. (mit Anselm W. Müller): Chinese Ethics in a Global Context. Moral Bases of Contemporary Societies. Leiden: Brill, 2002. Hg. (mit Gudrun Wacker): Li Zehou: Der Weg des Schönen, Freiburg: Herder, 1992 (Neuauflage: Bochum: Europäischer Universitätsverlag, 2022).